Marathon in Bad Harzburg - Zwischen Euphorie und Tränen, Sonne und Schnee
Sonntag Morgen, 05:00 Uhr: Aufstehen, anziehen, MTB ins Auto
laden, zurück ins Haus gehen. Sich irritiert noch einmal umsehen: Schnee. Es
hat geschneit. Die Autos, die Straßen, die Häuser, alles ist von einer dicken
nassen Schicht Schnee bedeckt. Trotz alledem
sitzen wir um 6 Uhr im Auto und erreichen exakt zwei Stunden später den
heutigen Rennveranstaltungsort, Bad Harzburg. 1,5 °C und Wind, aber wenigstens
liegt hier im Moment noch kein Schnee. Die Sportler, die außer uns schon vor
Ort sind, sind dick eingepackt unterwegs zur Nennstelle, frieren sichtlich oder
warten im Auto auf besseres Wetter.
Nachdem ich meine Startnummer und mein Starterpaket bekommen
habe und wir ganze 10 Minuten dem Wetter ausgesetzt waren, sind wir so
durchgefroren, dass wir uns erst einmal zum Aufwärmen wieder ins Auto setzen.
Ich trete jedoch kurz darauf mutig den Weg zu den Sanitäranlagen an, wo ich
allerdings 20 Minuten in der Schlange anstehe um ins Bad zu gelangen. Aber
wenigstens ist es dort angenehm warm, sodass man die Wetterkapriolen draußen
kurz vergessen kann.
Als ich wieder am Parkplatz ankomme, kann ich es nicht
länger hinauszögern: es ist Zeit, Mütze und Winterjacke gegen das
verhältnismäßig dünne Radtrikot zu tauschen.
Wenig später reihe ich mich, eingepackt in drei bis vier
Schichten Funktionskleidung, in die Masse der Fahrer ein, die sich gemächlich
warm fahren. Bisher hält das Wetter, ab und an kommt sogar die Sonne zum
Vorschein.
Im Startblock angekommen frieren wir dann um die Wette. Das
sorgfältige Warmfahren hätten wir uns vor dem Auskühlen im Starblock eigentlich
sparen können. Ich verschaffe mir einen
groben Überblick über die Konkurrenz: Viele bekannte Gesichter, viele bekannte
Namen, ein starkes Starterfeld. Oha.
Dann endlich geht es los. Auf den ersten engen Metern im
Start-Ziel Bereich ist wie immer Konzentration gefragt, doch da der Asphaltweg
bereits jetzt bergan geht, zieht sich das Feld schnell auseinander. Und
pünktlich zum Start der Mittelstrecke fängt es auch wieder an zu schneien.
Nach einem guten Kilometer geht es in den ersten steilen
Trail, natürlich berghoch. Hier kommt es auf der ersten Runde tendenziell immer
zu Staus, denn wenn nur ein Fahrer die erste Rampe nicht schafft, muss das
ganze Feld absteigen und schieben. Die Fahrer vor mir haben es alle zügig
geschafft, jetzt liegt es also an mir. Wäre ich mal weiter hinten bei den etwas
langsameren Fahrern gestartet. Doch auch ich schaffe die Rampe und kann mich
weiter bergan kämpfen. Aus den Augenblicken bemerke ich eine Frau in Blau, die
sich hinter mir den Berg hoch quält, doch wir haben Glück. Trotz des konstanten
Schneefalls sind die Trails trocken, oder vielleicht gefroren? Fahren lässt es
sich auf jeden Fall sehr gut, aber es geht hoch, hoch und weiter hoch. Auf dem ersten breiteren Forstweg zieht die
blaue Fahrerin an mir vorbei und bietet mir an, jetzt erst einmal eine Weile
die Führung zu übernehmen. Die blaue
Fahrerin ist am Berg sehr stark und gemeinsam schaffen wir die zahlreichen
Höhenmeter der ersten Runde souverän. Und wieder einmal macht es Spaß, sich
parallel mit jemandem über die Quälerei unterhalten zu können. Wir erreichen
die Trailpassage, die zur Abwechslung mal bergab führt und genießen die
flowigen, trockenen Trails, durchqueren den Bach und erreichen die letzte
Wiesenabfahrt, von wo aus man die Musik im Start-Ziel Bereich bereits hören
kann.
Und schon ist die erste Runde vorbei, die ich als Gesamt Zweite souverän
beende. Wahnsinn wenn ich bedenke, wie ich im letzten Jahr auf dieser
höhenmeterlastigen Strecke gelitten habe! Die blaue Fahrerin verabschiedet sich
dann leider am Ende der ersten Runde und ich muss alleine in die zweite Runde
starten. Also Rampe, Trail, Berg hoch, höher, noch höher. Ich habe eine Gruppe
von Fahrern gefunden, die meinem Tempo entspricht und komme weiter gut
vorwärts. Und schon geht es wieder trailwärts bergab und die Bachpassage liegt
vor mir. Auf dem folgenden, von Löchern übersäten Waldweg gebe ich noch einmal
Gas, denn weit ist es nicht mehr bis ins Ziel. Und es läuft so gut. Erst in der
nächsten Kurve bemerke ich das Zittern. Mein Hinterrad läuft nicht mehr rund,
irgendetwas stimmt nicht. Ich steige ab und ein Blick auf meinen Reifen genügt,
um mich in Panik zu versetzten. Mein Hinterrad verliert deutlich Luft. Okay
ganz ruhig, vielleicht nur ein kleines Loch. Schließlich sind es nur noch 2
Kilometer bis ins Ziel. Ich pumpe etwas Luft nach und steige wieder auf. In der
Zeit, die ich für die obligatorische Reparatur gebraucht habe, hat mich eine
meiner Konkurrentinnen überholt, sodass ich aktuell noch auf Platz 3 liege.
Also los. Aber bereits die Wiesenabfahrt lege ich auf der Felge zurück, die
Luft ist im wahrsten Sinne des Wortes raus. Ich sehe ein, dass ich meinem Rad
nichts Gutes damit tue, wenn ich so weiter fahre und beginne zu joggen, was mit
steifen Radschuhen mit Carbon-Sohle auch nicht unbedingt Spaß macht. Aber nur
noch 500 Meter. Durchhalten. Noch 150 Meter. Als mich dann meine ehemalige
Eulenkollegin so knapp vor dem Ziel noch überholt und mich die mitleidigen Blicke
der Zuschauer treffen, kann ich die Tränen nicht mehr zurück halten. Ich rolle
durchs Ziel und bin einfach nur maßlos enttäuscht.
Das ändert in diesem Moment weder die Umarmungen meines
Lieblingsmenschen, noch die Anekdoten meiner Teamkollegen zu diversen
technischen Defekten, noch die aufmunterten Worte des Moderators.
Mit etwas Abstand bin ich zwar immer noch enttäuscht, aber
auch sehr zufrieden mit meiner Leistung. Es hat viel Spaß gemacht, was auf
dieser höhenmeterlastigen Strecke vielleicht auch nicht unbedingt die Regel
ist. Am Berg läuft es für den frühen Zeitpunkt der Saison schon sehr gut und
auch die Rennhärte kommt langsam zurück. All das stimmt mich zuversichtlich im
Hinblick auf die kommenden Rennen, wo ich hoffentlich mit mehr Luft in den Reifen
ins Ziel komme. Und es gibt schließlich immer noch ein nächstes Mal.
Evelyn
Zitate des Tages:
„Hallo, bist du der Yeti?“
„Ist der Bach wohl zugefroren?“
„Wer seit ihr denn und wieso könnt ihr überhaupt noch
gleichmäßig atmen?“
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