Endurothon in Schierke - Der Sprung ins Unbekannte
Samstag, 04:55 Uhr: Der Wecker klingelt. Wie kann das sein?
Wieso sollte ich bitte mitten in der Nacht aufstehen wollen? Das kann doch
nicht mein Ernst sein. Als ich mich gerade umdrehen will, selbstverständlich um
weiter zu schlafen, fällt mein Blick auf meine gepackten Sporttaschen und mein
rotes Specialized-Trikot. Ach ja, da war ja was. Renntag.
Punkt 6 Uhr sitze ich dann doch mehr oder weniger wach im
Auto und mache mich auf den Weg nach Schierke. Nach einigem hin und her in der
vergangenen Woche habe ich mich doch zum Start beim „Endurothon“ entschieden, auch
oder gerade weil die Ausschreibung bewusst etwas einschüchternd bzw.
herausfordernd gestaltet ist. „Endurothon“ klingt davon abgesehen eigentlich
nicht nach einem Rennen für eine Marathonspezialistin oder für ein 26er S-Works
Hardtail, aber die breite Auswahl an Strecken hat mich dann doch ermutigt.
Neben zwei „Heavy“ Strecken, wo man mit einem Fully bestens beraten ist, werden
auch zwei weitere Strecken angeboten, die auch ohne Vollfederung zu bestreiten
sind.
Nach über zwei Stunden Fahrt, die erst durch die Dunkelheit,
dann durch den Nebel und schließlich durch den wunderschönen Nationalpark Harz
führt, erreiche ich schließlich den kleinen Ort Schierke. Hier scheint bei
kühlen acht Grad bereits die Sonne und von der Aufregung, die ein Rennevent
immer mit sich bringt, lässt sich der Touristenort nicht weiter stören. Zu Fuß
mache ich mich auf dem Weg zum Kurpark, dem heutigen Zentrum des Geschehens.
Überall im Ort begegnen mir Hexen, Luchse und der Schierker Feuerstein, der
Harz hat irgendwie seine ganz eigene Magie.
Bei der Nachnennung geht es zu wie im Bienenstock und es
dauert lange, meistens wegen Menschen wie mir, die sich erst am Freitag Abend
zu einem Start entscheiden, bis ich mich mit meiner Startnummer und meinem
Startpaket auf dem Weg zurück zum Auto mache. Schnell umziehen, kurz in dem
dünnen Trikot frieren, und dann ab aufs Rad. Auf dem Weg zum Startbereich treffe
ich die üblichen Bekannten, darunter die anderen Eulen, und wie immer ist die
Freude riesig, einen Renntag miteinander zu verbringen. Und als um halb zehn
der Startschuss für die „Heavy“Strecken fällt, jubeln wir Marko, Dirk, Timo und
Olaf schon einmal ordentlich zu. Für Marie geht es heute auf die „Medium“
Strecke, während Bene und ich die 33 km lange Kurzstrecke in Angriff nehmen. Da
es mir heute ein bisschen am nötigen Rennfieber fehlt und ich die Höhenmeter im
Harz mit schmerzenden Beinen kennen gelernt habe, halte ich die schnelle
Kurzstrecke für angemessen. Außerdem habe ich nach den jüngsten Berichten von
der Strecke doch etwas Angst um mein Bike bekommen.
Um 10 fällt der Startschuss für uns und ich kann mich mit
einem zügigen Start aus dem größten Gedränge raus halten. Es geht durch den
Kurpark hinein in das Zentrum des Ortes, über eine Fußgängerbrücke und dann
erst einmal nur noch berghoch. Das Feld zieht sich erwartungsgemäß an der
ersten Steigung bereits stark auseinander, sodass ich ohne Probleme mein Tempo
finden kann. Nach einer kurzen flachen Passage geht es zur ersten
Streckenteilung, wo sich das Feld wieder staut. Was bin ich nochmal? Achja,
blaue Strecke, also auf in den ersten, leicht ansteigenden Trail. Und der hat
es in sich! Ich riskiere einen kurzen Blick nach vorne und sehe keinen Weg, nur
nasse Wurzeln und große Steine. Schaff ich das? Kurzer Blick nach hinten, Blick
nach vorn – wir fahren direkt hintereinander, ich hab also keine Wahl wenn ich
nicht das ganze Feld aufhalten will. Erstaunlicherweise bringe ich das Stück
sauber und ohne Probleme hinter mich, immer auf das Hinterrad meines
Vordermanns konzentriert. Ich passiere auch die nächste Streckenteilung, an der
die erste Verpflegung bereit steht.
Als nächstes wartet der Plattenweg, der im
Vorfeld immer wieder Gesprächsthema gewesen ist. Die breiten Fahrspuren bilden
Betonplatten, auf denen ziegelsteingroße Auslassungen in Karoform angeordnet
sind. Ich ziehe auf den grasbewachsenen Mittelstreifen, doch als sich in der
Mitte eine immer tiefere Furche bildet, wechsele ich doch wieder nach außen.
Und jetzt heißt es entweder sich schön durchrütteln lassen, was das bergauf
treten nicht einfacher macht, oder sauber zwischen den Löchern balancieren.
Auch im Sinne meines Bikes entscheide ich mich für die zweite Möglichkeit.
Irgendwann ist der Plattenweg dann aber doch zu Ende und es geht über lange
Trailabfahrten wieder abwärts, bis wir auf einer Schotterpiste auf einer
unbeschilderten Kreuzung stehen. Und jetzt? Wir entscheiden uns geradeaus zu
fahren, bis wir 300 Metern unterhalb der Kreuzung dann die ersten Rufe hinter
uns hören. Mist, falsch abgebogen, das hat Zeit gekostet!
Über einen schmalen Weg kommen wir schließlich wieder in
Schierke an, ein kurzes Stück Straße und dann zeigt der Wegweiser rechts runter
in den Wald. Ich verlangsame mein Tempo kaum, in Erwartung eines Trails, und
sehe mich einer Treppe gegenüber. Ich schaffe es gerade noch, mein Gewicht nach
hinten zu werfen und mich in Balance zu bringen, dann liegt der Kurpark auch
schon vor mir. Einige Schleifen noch, dann passiere ich das erste Mal die
Zeitnahme. Eine Runde geschafft, noch zwei zu absolvieren. Ich ziehe das Tempo
am Berg etwas an und kann eine schnellere Gruppe Fahrer erreichen, die mich bis
zum Plattenweg mitziehen, dann trennen sich unsere Wege und ich bin wieder auf
mich allein gestellt. Diesmal kenne ich aber den Weg und zögere an der Kreuzung
nicht, was diesmal allerdings auch nicht nötig gewesen wäre, denn nun steht ein
Streckenposten bereit. „Hast du dich eben hier auch verfahren?“ ruft er mir
entgegen. „Jap“. „Oh man, das tut mir echt leid“!
Kurz vor der Treppe bremse ich scharf ab und zögere ein
bisschen zu lange, sodass ich mich gerade noch abfangen kann und zu Fuß den
„Chickenway“ neben der Treppe nehme. Wie ärgerlich! Ich weiß doch, dass ich das
kann. Manchmal ist der Sprung ins Unbekannte besser als zu viel nachzudenken.
Ich gebe im Kurpark nochmal Gas und gehe kurz darauf in die letzte Runde. Erst
als ich zum dritten Mal den Plattenweg erreiche begegne ich der erste Frau, die
mir allerdings erklärt, dass sie noch eine ganze Runde vor sich hat. Gemeinsam
bezwingen wir die letzten Meter am Berg bevor es in die Abfahrt geht.
Seltsamerweise ist es auch das erste Mal in diesem Rennverlauf, dass ich mir
Gedanken um die Konkurrenz und eine Platzierung mache. Die Begegnung hat meinen
Ehrgeiz dann doch noch aktiviert und so sprinte ich, sobald ich wieder festen
Untergrund unter den Reifen habe, Richtung Kurpark. Jetzt nicht zögern, nicht
nachdenken, Bremse los, Gewicht nach hinten und die Treppe ist geschafft. Noch
einmal alles geben und dann überquere ich auch schon die Ziellinie. Ich lasse
mich ein Stück ausrollen und werde an der Zielverpflegung bereits von einigen
anderen Eulen erwartet. Gemeinsam erfragen wir bei der Zeitnahme unsere
Ergebnisse und ich darf mich über den Gesamtsieg auf der Kurzstrecke freuen.
Nachdem wir uns umgezogen und aklimatisiert haben
positionieren wir uns wieder im Zielbereich, um auf die Langstreckler zu
warten. Ich verschenke mein Energiegel an einen Langstreckenfahrer, der noch
eine Runde vor sich hat, und mit einer 1A-Eulen-Laola-Welle wird Olaf kurz
darauf im Ziel begrüßt.
Der „Endurothon“ an sich ist die Anfahrt auf jeden Fall wert
gewesen. Die Strecke ist keine typische Marathonstrecke, aber die Höhenmeter
und vor allem die technischen Trails sind auf jeden Fall etwas
ganz Besonderes. Trotz der zuerst fehlenden Wegmarkierung war die Organisation
sehr gelungen und die Stimmung war super.
Ich habe meinen Rennmodus und Ehrgeiz
heute leider erst auf den letzten Metern gefunden, Spaß gemacht hat es aber allemal.
Meine Rennmaschine hat wieder einmal bewiesen das Specialized S-Works echte
Alleskönner sind, trotzdem bin ich froh es in einem Stück wieder mit nach Hause
nehmen zu können.
„Wir sind stolz auf dich. Ruhm und Ehre mögen dich auf deinen
Wegen begleiten“, so steht es auf meiner Urkunde.
Love what you do and do what you love,
Evelyn
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